Liebe Freunde!
Ein langer langer Monat ist es her, seit ich Euch das letzte Mal
geschrieben habe. Die israelische Armee reagierte zwar schon sehr hart im
Gazastreifen, und die Situation war im Süden schon alles andere als
friedlich. Aber das war sie eben auch schon vorher. Und wir konnten uns auf
unser Theaterfestival in Newe Yossef
konzentrieren, worüber ich Euch das letzte Mal berichtet habe. ( Der
Bericht ist hier zu finden.) Am nächsten Tag, am
Mittwoch, dem 12. Juli, schon eskalierte die Situation an der Nordgrenze. Am
Donnerstag fiel die erste Rakete in Haifa. Haifa wurde langsam zur Geisterstadt...
Schon im Juni hatten wir,
gleichzeitig mit den Vorbereitungen zum Festival, mit Proben zum Stück
begonnen, mit dem wir das Jahr im August beenden wollten. Am Samstag nach der
ersten Rakete probten wir noch ein letztes Mal in Haifa, im Leo-Baeck-Sportzentrum,
als am nächsten Morgen die jungen SchauspielerInnen
aus dem Bett geworfen wurden mit der grossen
Explosion in der Eisenbahngarage, die gleich unterhalb der Wohnung liegt. Von
diesem Tag an wanderten wir herum, im Zentrum des Landes und im Süden, bis
wir uns zwei Wochen vor der geplanten Aufführung entschieden, das das
Stück nicht in Haifa aufzuführen. Dieser Entschluss fiel uns sehr
schwer. Wir wollten unsere letzte Produktion im Chayat-Hain
im Süden von Haifa aufführen, um dadurch diesen verlassenen Ort
wiederzubeleben. Das Ganze sollte eine Open-Air-Feuer-Feier werden zur
Vollmondnacht im August, die in der jüdischen Tradition das Fest der Liebe
ist. Aber die Aussichten waren schwarz, die Bomben fielen zu Hunderten auf die
Stadt, in der wir ein Jahr lang gearbeitet hatten, und wir mussten uns
entscheiden. Wir haben uns für eine kleine Bühne in der Altstadt von
Jaffa entschieden, das sogenannte „Gassentheater“ (Teatron
Hasimta), und mussten die ganze Regie umschreiben
für diese ganz neue Situation. Inzwischen kamen auch dramaturgische
Bedenken zur Sprache. Auf entsetzliche Art und Weise wurde das Stück, das
wir im Mai gewählt hatten, aktueller als es uns lieb gewesen wäre.
Das Stück „Die
Unabhängigkeitsnacht des Herrn Schefi“ hat Awraham Ras nach dem Aufreibungskrieg 1972 geschrieben. Zu
dieser Zeit kam fast jeden Tag ein israelischer Soldat ums Leben, an der
südlichen Grenze mit Ägypten oder an der nördlichen mit Syrien.
Im Stück warten die beiden Eltern am Abend der Unabhängigkeitsfeier
des Staates Israel auf ihren Sohn, ein Soldat an der syrischen Front. Die
Mutter hofft noch immer, der Sohn käme nach Hause, wie er es angemeldet
hatte; den Vater zernagen die Zweifel – es ist schon elf Uhr nachts. Und dann
geschehen Ereignisse, die irgendwo zwischen Realität und Halluzination
schweben. Was geschieht, spitzt nicht nur das Drama des Krieges zu, sondern
auch das Familiendrama, das Dreieck Vater-Mutter-fast schon erwachsener Sohn.
Wir hatten uns entschieden,
schon im Juni, das Stück auf das imaginäre Jahr 2007 umzuschreiben:
Soldaten schreiben nicht mehr Briefe, höchstens SMS, aber vor allem
telephonieren, die israelische Frau ist eine emanzipiertere als
1970. 1970 fürchteten sich israelische Eltern um ihre Kinder, sie
kämen an der Front um. Heute (bis vor einem Monat....) kommt eine andere,
viel gewichtigere Sorge dazu: Was geschieht in der Seele unsrer Söhne,
wenn sie als Soldaten auf arabische Zivilbevölkerung treffen, die sie
verwalten und verdächtigen müssen, in den besetzten Gebieten.
Nach Hunderten von Bomben auf
Nordisrael, vor allem aber Tausenden von Bomben auf ganz Libanon, entschied
sich nun die israelische Regierung, auch Bodentruppen in den Libanon zu
schicken. Die toten Soldaten türmten sich um uns: Freunde von Bekannten,
Familienangehörige von Freunden, fünf, zehn, zuletzt sogar 24 tote
Soldaten an einem einzigen Tag. Plötzlich stand unser tote
Soldat auf der Bühne, wie wenn er soeben aus dem Südlibanon
zurückkäme. Diese grausame Aktualität, die unser Stück
bekam, war schrecklich! Wie ästhetisch präzise sollten wir unsern
Schmerz auf der Bühne darstellen? Was ausdrücklich benennen und was
der Intelligenz und der Feinfühligkeit des Publikums überlassen?
Wir haben während einem
Monat in verschiedenen Unterkünften gewohnt und gearbeitet, am Schluss
zeigten wir das Stück dreimal, am 9., am 10. und am 11. August und hatten
sehr grossen Erfolg. Jeden Abend baten wir um Spenden
für die Ausgaben des Stückes und für „NEMASHIM“ im allgemeinen.
(Hier möchte ich wieder einmal betonen, dass unser Projekt nicht ohne
Spendengelder auskommt. Wer selber etwas spenden möchte oder eine Idee
hat, wer spenden könnte, kann sich hier die Einzelheiten
abschreiben, oder sich per e-mail bei mir
informieren.) Nach der letzten Aufführung stiegen die Mitglieder der neuen
Wohn- und Arbeitsgemeinschaft auf die Bühne, und wir zelebrierten die
„Fahnenübergabe“ der Kommune 2005-2006 and die nächste Generation.
Die Kommune erhielt viel Lob für ihre Arbeit dieses Jahr, und dies
zurecht.
(Photos
von der letzten Aufführung)
In der selben Nacht wurde
weit weg in Amerika ein Waffenstillstand beschlossen, der nach zwei Tagen in
Kraft trat.
Nun beginnt das Leben wieder (nicht für alle), in Haifa, in Beirut und für alle Millionen zwischendrin. Die neue Wohn- und Arbeitsgemeinschaft ist eingezogen, mit vielen Befürchtungen, ob der Waffenstillstand auch wirklich anhält. Aber auch wenn, der bisherige Schaden ist immens!! Den Schaden für den Libanon, für die internationalen Beziehungen im Nahen Osten und in der ganzen Welt muss ich gar nicht benennen, aber was für unsere Arbeit besonders schlimm ist, sind die Leiden und Schäden in Israel selber. Dieser Krieg hat wieder einmal gezeigt, wie heilig k&k (Krieg und Kapital) miteinander verbunden sind. Was niemand abstreiten kann, ist, dass die Ärmsten in diesem Krieg am Schwersten gelitten haben und wahrscheinlich noch lange leiden werden. Und die Ärmsten, auch das sind objektive Fakten, in Israel sind die AraberInnen und die Juden, die in den jüdisch-arabisch gemischten Städten leben. Dazu kommen dann noch die schwer geschädigten Städte Nahariya, Kiryat Schmona und Zfat. Dieser Krieg kostete Israel (bisher) mehr als 10 Milliarden Euro, und trotzdem hat die Regierung plötzlich kein Geld, die Schulen wieder aufzubauen. Sie hat diese Woche dem Bildungsministerium sogar noch 20 Millionen Euro weggestrichen. Vielleicht denken sich manche, dass das gemeinsame Leid Juden und Araber zusammengebracht hätte. Wir wollen hoffen...
Das Buch über
NEMASHIM:
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