Wie immer ist dieser Bericht von
Amina, ein Bericht von innen, sehr persönlich. Ich hab ihn diesmal nicht
gekürzt, obschon gerade mit einigen Feststellungen in diesem Bericht ich
nicht einverstanden bin.
Uri
„Nemashim”-Rundbrief Februar und März 2007
Liebe
Freunde und Freundinnen,
Nachdem
ich im Februar eine kleine Rundbriefpause eingelegt habe und damit bestimmt so
dem einen
oder anderen eine kleine Verschnaufpause vergönnt habe, ist jetzt wieder
Zeit für einen Bericht über unser Zusammenleben und unsere Arbeit
hier in Haifa.
Der
Frühling ist da - und pünktlich dazu ist auch die gute Stimmung in
die Kommune zurückgekehrt, die uns allen lange gefehlt hat. Es waren zwei
sehr abwechslungsreiche, erfahrungsreiche und auch sehr schwere und
konfliktreiche Monate hier, nicht nur, aber vor allem im Kommunenalltag.
Nun
steht die Premiere unserer zweiten Produktion schon ganz kurz bevor, Mitte
April ist es dann soweit –
Am 11. April ist unsre
Premiere im engeren Rahmen in Neve Yossef, eine Woche später führen wir das
Stück dann im Rahmen des 3. internationalen Pantomimefestivals in Shfa-Amr auf.
Die
Tage bis
dahin sind recht ausgefüllt, nicht nur, aber vor allem mit intensiver
Probenarbeit, aber auch mit der zunehmend intensiveren Arbeit in der
Nachbarschaft und der Gemeinschaftsarbeit.
Mit „Hadi&Tami“ feiern wir weiterhin schöne kleine
positive Erfolge im ganzen Land, ob nun bei Aufführungen in Kibbutzim, in demokratischen Schulen, in
Gemeinschaftshäusern oder anderen größeren und kleinen Institutionen.
Immer dann, wenn wir gemeinsam hinter der Bühne stehen und zuhören,
wie sich der Raum mit Arabisch und Hebräisch sprechenden Kindern
füllt, dann wissen wir am genauesten und schönsten, was der Sinn
unserer Arbeit ist: Diese beiden Seiten dieses einen Landes durch und über
das Theater zusammen bringen.
Unsere
zweite Produktion, Bewegungs- und Pantomimetheater wird kein
Kindertheaterstück sein. Wie schon im letzten Rundbrief beschrieben, steht
auch hier der Konflikt im Vordergrund, aber nicht vorrangig
israelisch-palästinensische, vielmehr der menschliche Konflikt, sowohl der
eines jeden Menschen mit sich selbst, als auch der zwischenmenschliche. Zu
Beginn des Stückes sind wir alle Statuen in einem Museum. Eingefroren und
statisch, noch gibt es nichts menschliches an uns zu entdecken. Die Musik
startet, das Licht geht an, die ersten Regungen sind zu beobachten. Die Statuen
beginnen sich zu bewegen, zu spüren und zu „erleben“. Mit der Öffnung
der Augen wird der jeweilige Mensch in den Statuen wach, der die anderen
entdeckt und versucht, zu ihnen gelangen. Aber noch trennen Abgründe die
Mensch gewordenen Statuen voneinander, bis diese langsam aber sicher das Laufen
lernen, mit vielen Stolpersteinen, schließlich gemeinsam stehen. Doch mit
gerade dieser „Menschwerdung“ hat sich auch die Entwicklung zum Konflikt hin
vollzogen. Geltung und Besitz, vor allem aber das Materielle nehmen an
Bedeutung zu. Ein rotes Tuch ist nun das Objekt unserer Charaktere, von seinem
recht abstrakten Sein als Tuch verwandelt es sich nun in unseren Händen
und Augen in konkrete Dinge: In einen Spielball, eine Windel, ein Torrerotuch oder eine Schlange. Ein Baby, ein Drache und
eine Grenze sind ebenfalls Verwandlungszustände, die aber alle nur kurze
Momente andauern. Am Ende ist klar: alle haben nur das eine Ziel: das rote Tuch
für sich zu besitzen, denn für jeden besitzt es eine andere Bedeutung
und Wichtigkeit, die den Anspruch auf gerade dieses rote Tuch legitimieren
sollen. Krieg bricht aus. Und danach hat sich vieles geändert.
Seit
einigen Monaten arbeiten wir nun in den Proben durch Improvisationen an dem
Stück. Den Rahmen kennen wir schon recht lange, an den Inhalten feilen wir
noch immer. Schon vor einiger Zeit haben wir alle unseren Charakter
gewählt, der ja zu Beginn nur eine Statue ist: Daniel ist Cleopatra, Renana die griechische Göttin Athene, Or ist ein jüdischer Rabbi, Ahmad ein Cowboy, Khaled
ein französischer Ehrenmann und ich bin eine japanische Geisha. Diese
interessante Mischung schlägt sich natürlich auch nicht nur optisch
auf der Bühne nieder, allein schon in der Aufzählung werden die
unterschiedlichen Kulturkreise, Epochen, historischen Zusammenhänge, die
unterschiedlichen Ideologien, Religionen und politischen Unterschiede mehr als
deutlich. Wenn dann die Geisha mit dem Cowboy über den roten Teppich
schreitet, oder eben der Rabbi mit Athene, so vermischen sich hier Welten und
vor allem auch Weltanschauungen miteinander, die dann auch kurz darauf
gegeneinander in den Krieg ziehen. Nichts harmoniert wirklich in dieser
Zusammenstellung von Figuren, die alle nichts wirklich miteinander gemein
haben, außer den einen Wunsch: das rote Tuch zu besitzen.
Es
ist für fast alle von uns der erste Kontakt mit reinem Bewegungstheater,
das sich auf den Körperausdruck und auf die gekonnte Mimik verlässt
und vor allem auch nur mit passender Musik zu seiner vollen Wirkung kommt. Zu
Beginn ist es uns schwer gefallen uns vorzustellen, 50 Minuten auf der
Bühne zu füllen, fast ohne Worte, die Erklärungen liefern. Es
ist aber schön zu sehen, dass wir uns alle mit der Zeit sehr darauf
einlassen konnten. Es ist eine interessante Erfahrung, so intensiv und sensibel
mit dem Körper zu arbeiten und ihn dabei auch noch mal selbst ganz anders
kennen zu lernen. So haben wir auch alle gelernt, dass der Körper viel
verrät, selbst wenn der Kopf ihn zu kontrollieren versucht - ja und auch,
dass sich fast jede Schwierigkeit in der Dynamik der Gruppe im
Körperausdruck niederschlägt und nicht versteckt werden kann. Es ist
uns also allen deutlich geworden, wie unerlässlich ein gutes, vor allem
aber offenes Gruppenklima für gerade diese Produktion ist, denn gerade in
diesem Stück geht es nicht um das Herausheben eines Einzelnen, es geht
viel mehr um die Gruppe an sich, die die Geschlossenheit nicht nur
demonstrieren, sondern auch aus sich heraus fühlen muss, um sie dem
Publikum überzeugend nahe zu bringen.
Das Zusammenleben
Diese
Herausforderung war und ist für uns alle bisher sehr groß, und hinter
uns liegen Wochen, in denen wir sehr kämpfen mussten - für uns als
Gruppe und somit auch für das Bestehen und die Qualität und
Intensität der Produktion.
Jetzt
zurückschauen, auf die letzten beiden Monate, bedeutet auf viele
große und kleine Konflikte zurückzuschauen, die zum damaligen
Zeitpunkt unlösbar schienen, jetzt aber in einem Gesamtkontext aufzeigen,
wie sehr wir uns aber doch weiterentwickeln, sowohl als Individuen als auch als
Gruppe.
Nachdem
es uns gelungen ist, eine gute und bis heute funktionierende Lösung
für den Konflikt zwischen den Mädchen und Khaled und Ahmad über
das Mitbringen von ihren Freunden zu „erstreiten“, schien es, als hätten
sich die Wogen vorerst geglättet und es stünden ruhigere Tage ins
Haus. Doch von den kulturellen Streitfragen kamen wir dann zu den eher
weltlichen und alltäglichen Fragen und Problemen zurück, die
eigentlich lösbar erscheinen mögen, in einem vier-Sprachen und
drei-Kulturen- Haushalt allerdings zum absoluten Verwürfnis
führen können: Das Putzen und das Einkaufen. Hatten wir all diese
Dinge bis dahin von dem recht praktischen Standpunkt behandelt, nämlich
dann einzukaufen, wenn der Kühlschrank gähnend leer und die Wohnung
besorgniserregend schmutzig ist (was dazu führt, dass dies dann immer die
gleichen Personen erledigen, die nämlich, die Hunger leiden oder gerne ihr
Zimmer erreichen, ohne schwarze Füße und Niesattacken zu bekommen),
so wurde uns klar: so geht es nicht weiter. Auslöser war das
Spülbecken, das sich Woche um Woche mit mehr Geschirr füllte, bis wir
kein sauberes mehr hatten, jede/r aber behauptete: ich habe doch meines
gespült.
Nun
ja, wir stritten, argumentierten, entwickelten Ideen, versuchten sie umzusetzen
und fanden uns doch wieder frustriert vor dem überquellenden
Spülbecken wieder. Aus der Putzangelegenheit wurde eine Erziehungsfrage
und vor allem eine Überwachungssituation geschaffen: Man wusste
plötzlich genau, wessen Teller ungespült im Spülbecken stand und
wer seine Tasse ungewaschen auf dem Tisch stehen ließ. Big Brother
hätte alles nicht besser mit einer Kamera einfangen können. Nun kann
man sich vorstellen, dass es recht ungemütlich ist, wenn jeder Schritt,
jeder Bissen und jeder Schluck zum Kommunenthema werden können. Als wir
fast kapitulierten, erschien uns die großartige pädagogische Idee
zweier Mitbewohner wie eine Vision: am Ende jedes Tages werden alle schmutzigen
verbleibenden Geschirrteile zerstört und entsorgt, um dann auf Kosten der
Kommunenkasse Neuanschaffungen zu tilgen. Dies, so die Idee, würde zu der
Wirkung führen, dass niemand wolle, dass die Kommune für seine
Faulheit zu blechen habe und somit sei das zumindest das Abspülproblem
gelöst. Andere Vorschläge, man könne ja auch einen Plan machen
und abwechselnd wäre immer einer abends für das Abspülen des
verbleibenden Geschirrs zuständig, wurden mit dem Satz „wir putzen uns ja
auch nicht gegenseitig die Hintern ab“ verworfen. Nun…Ein paar Teller und
Tassen fanden ihren Weg in den Müll, bis die Methode der Privatisierung
ihren Einzug auch in unsere Kommune fand: Eine Tasse für jede/n,
beschriftet mit Namen, so dass der Übeltäter leicht auszumachen ist.
Nun haben wir jeder eine eigene Tasse und wenn wir morgens Kaffee trinken
wollen, müssen wir sie spülen, wenn wir am Abend davor Tee daraus
getrunken haben. Wie sich das gehört. Den Rest lösten wir recht
pragmatisch, aber weniger fatalistisch: Pläne wurden entwickelt, mit Datum
und Häkchen- System. Am Kühlschrank kann man jetzt nachlesen, wer
für den leeren Kühlschrank verantwortlich gemacht werden kann, und an
der Klotür steht bis Juli festgeschrieben, wer wann Bad und Toilette zu
putzen hat.
Als
wir dann aufzuatmen wagten, weil wir glaubten, einen großen Schritt hin
zum Kommunenfrieden geschafft zu haben, stand die nächste große
Krise ins Haus, die weder kulturell, noch religiös noch individuell zu
bewerten ist: Die Sinnkrise suchte uns Heim.
Auslöser
war mit Sicherheit das Treffen mit den neuen potentiellen „Nemashim“-Mitgliedern.
Wir waren Freitags nach Nazareth zum Workshop angereist, um als erfahrene und
weise Kommunenmitglieder den Neulingen ein wenig zu erzählen, wie das so
ist, in einer Kommune zu leben. Araber, Juden und Deutsche, Frauen und
Männer zusammen, auf engstem Raume, in einer sich recht feindlich
gesinnten und schlecht situierten Nachbarschaft. Da saßen wir nun und
sollten andere junge, idealistische und theaterbegeisterte junge Menschen davon
überzeugen, warum es so toll und sinnvoll ist, ein Jahr seines Lebens in
einer solchen Kommune zu bringen. Gekonnt überspielten wir die Tatsache,
dass wir es plötzlich selbst nicht mehr so richtig wussten: ja, warum sind
wir eigentlich hier, zusammen, warum leben und arbeiten wir noch immer
zusammen, wenn uns doch eigentlich vielmehr zu trennen als zu einen scheint?
Was wollten wir eigentlich, als wir damals zusammen zogen? Welche Ziele hatten
wir und was ist bisher daraus geworden? Ändern wir etwas daran, dass sich
Araber und Juden, ob nun in Neve Jossef
und Halissa oder in Israel und der Westbank
überhaupt noch immer fremd sind, mit Hass und mit Waffen, anstatt mit dem
Dialog begegnen? Und haben wir uns nicht vielleicht verloren, auf dem Weg „die
Welt zu verändern“ (wie ein Artikel über uns in einer israelischen
Zeitung übertitelt war), in Kleinigkeiten, persönlichen Verletzungen
und sogenannten „Peanuts“, anstatt uns ganz dem Frieden im Nahen Osten zu
widmen, ungeachtet unserer eigenen Probleme und Schwierigkeiten?
Nach
vielen Gesprächen, Diskussionen, Tränen und Auszugsplänen wissen
wir jetzt eines: wir ändern nicht die Welt, wir sind nicht die
Friedensengel des jüdisch-arabischen, ja überhaupt des ewig
menschlichen Konflikts, die durch ein bisschen gemeinsames Theater alle Mauern
wegzaubern. Khaleds Satz bringt unseren Weg des Erkennens sehr gut auf den
Punkt: „Wir ändern hier kaum etwas, in diesem einen Jahr. Das einzige was
wir wirklich ändern ist uns“. Und interessanterweise ist das schon mehr
als genug, vor allem aber schon schwierig genug. Denn waren wir zu Beginn des
Jahres davon ausgegangen, dass wir als junge Menschen die sich einem solchen
Projekt anschlossen, offen füreinander und für die großen und
kleinen Schwierigkeiten des gemeinsamen Alltags sein würden, so mussten
wir doch erst akzeptieren und verstehen lernen, wie sehr wir doch selbst
„kleinlich, kindisch, beschränkt und vor allem engstirnig“ sein können,
alles Eigenschaften, die wir an allen anderen außer uns stets als
Hinderungsgrund für ein friedliches Miteinander auszusetzen hatten. Wir
hatten uns getäuscht, in der Annahme, offen für alles und jede/n zu
sein. Vielmehr mussten wir erkennen, dass genau dieses Jahr uns dies würde
beibringen müssen. Denn Offenheit bedeutet nicht, mit dem anderen stets
und immer einer Meinung zu sein, aus einem Harmonie- und Friedensbedürfnis
heraus und auch nicht, zu glauben, dass die eigene Kultur immer die offenste
und beste ist, sondern es bedeutet zuzuhören, zu verstehen, es bedeutet zu
streiten, sich aufzugeben, sich dann doch wieder anzunähern, verstehen zu
lernen anzunehmen und vor allem eines: Die Tür für den anderen, das
Verständnis für den anderen, immer ein wenig offen zu lassen, selbst
dann, wenn man glaubt, es geht nicht mehr, weil sich Kultur, Weltanschauung,
Lebensweise und Lebensweg noch so sehr unterscheiden mögen. Wir haben
begriffen, wir müssen im Kleinen, also bei uns beginnen, anstatt zu glauben,
dass wir gemeinsam draußen großes vollbringen können. Wir
ändern uns, jeder sich und jeder ein bisschen die Gruppe und das
Miteinander. Und in dieser Beharrlichkeit und mit diesem Willen machen wir
zumindest schon einen großen Unterschied zu vielen Menschen aus, die sich
lieber dem anderen, die sich dem Dialog, dem Miteinander verschließen und
sich von Misstrauen, Angst und Hass leiten lassen.
So
war der Tag, den wir gemeinsam mit den „Neulingen“ verbrachten, doch vielmehr
ein Tag an dem wir uns am meisten selbst etwas beibrachten, bzw. vor allem
einen Lernprozess auf den Weg brachten.
Eine
junge Frau, die uns an diesem Tag begleitete, um womöglich einen kleinen
Film über uns und unser Projekt zu machen, antwortete auf die Frage, was
sie denn denke, wenn sie uns alle so zusammen sehe: „Also für mich ist das
hier alles ein bisschen zu abnormal harmonisch“.
Wir
lachten, schauten uns an, sagten nichts und wussten es insgeheim aber besser:
Wir
machen uns nichts mehr vor. Es wird so weiter gehen, bis zum Ende unserer
gemeinsamen Zeit hier. Wir werden hier gemeinsam lachen, Theater spielen und
zusammen sein, wir werden aber auch und das vor allem: streiten und glauben
dass wir nicht mehr können, dass nur das Ausziehen aus der Kommune uns
helfen kann, wir werden weinen und hassen, uns dann wieder annähern und
versöhnen und hoffentlich daran merken, wie sehr wir doch an uns selbst
und an unserer Beharrlichkeit und unserem Willen wachsen und vor allem zusammen
wachsen. Und bei all der Arbeit an uns selbst und dem Miteinander sollten wir
dennoch eines nicht vergessen: Auch wenn wir vielleicht nicht den großen
Frieden bewegen, so machen wir doch jeden Tag kleine Schritte, um unserem
unmittelbaren Umfeld über unser Vorbild und auch unsere Theaterarbeit
andere Methoden und Wege der friedvollen Verständigung beizubringen. Denn
wenn der kleine Shadi in Halissa
nach fünf Monaten Theaterarbeit weiß, dass „Michael ein Jude ist,
und trotzdem überhaupt gar nicht böse“, sondern er sich einen Bruder
wie ihn wünscht und auch wenn sich in Ahmads und Renanas
Gruppe die arabischen und jüdischen Jugendlichen über das Theater
ganz anders kennen lernen, als nur über weit verbreitete Vorurteile und
Stereotypen („Araber sind primitiv und kriminell und alle Terroristen“, „Juden
sind Besatzer und verrückte Siedler“) dann leisten wir zumindest mit
kleinen Taten einen Beitrag zu einem friedvolleren Zusammenleben. Hilde Domin
hat den Sinn unserer Arbeit mal wunderschön in einem ihrer Gedichte „Wie
wenig nütze ich bin“ zum Ausdruck gebracht: „Ich war hier. Ich gehe
vorüber, ohne Spur (…) aber im Vorbeigehen, ganz absichtslos, zünde
ich die ein- oder andere Laterne an, in den Herzen am Wegrand.“
Auch
einen Kommentar von Uri, unserem Projektleiter und Regisseur, zu unserer
momentan aktuellen Diskussion, was wir hier leisten (können), möchte
ich Euch nicht vorenthalten: „Ich will dich nur darauf aufmerksam machen, dass
es in Israel und Palästina ohne Menschen wie uns noch viel schlimmer
wäre. Ein kleines Beispiel (von dem du vielleicht gehört hast):
Im
Januar trat eine neue Verfügung in den besetzten Gebieten in kraft,
gemäß derer keine Palästinenser in israelischen oder
ausländischen Autos mitfahren dürfen. Also eine klassische
Apartheid-Verfügung. Eine Koalition von sieben Organisationen hat diese
Verfügung boykottiert und bekämpft und es geschafft, dass sie wieder
abgeschafft wurde.
Wir
arbeiten in andern Gebieten, aber was wir machen, ist nicht weniger wichtig.
Davon bin ich überzeugt. Vielleicht machen wir nicht genug, und vielleicht
machen wir dabei Kompromisse, die der Sache schaden. Aber das heißt
nicht, dass unsre Arbeit wertlos ist.“
Und
neben all dem gemeinsamen Streben und Streiten und Wachsen gibt es
natürlich auch noch den ganz persönlichen Raum eines jeden einzelnen
hier, der unabdingbar ist, um Kräfte und Energie für das
Zusammenleben zu mobilisieren. Khaled studiert noch immer weiterhin mal mehr
und mal weniger fleißig und bringt sich gerade das Jonglieren selbst bei,
Ahmad lernt nun für den Aufnahmetest an der Universität, versucht
sich ein wenig in der deutschen Sprache, Or engagiert
sich bei Greenpeace und in seiner kommunistischen Partei, sowie im
Homosexuellen-Forum, während Renana beim Malen
und Daniel beim Singen ihren Rückzug findet.
Für
mich hat der Januar auch mit einem sich vertiefenden Arabisch-Lernen begonnen.
Zusammen mit Danielle aus der anderen Kommune lerne ich nun drei Stunden in der
Woche gesprochenes Arabisch bei Naami, im Wadi Nisnas in Haifa. Mit Naami
verbringen wir wunderbare Stunden, in denen wir nicht nur viel lernen, sondern
auch viel lachen, scherzen und übereinander erfahren. Diese ältere
Dame, die uns wöchentlich mit dem besten arabischen Kaffee und leckeren
Süßigkeiten empfängt, hat auch nach zehn Jahren ihre
Begeisterung für das Lehren ihrer eigenen, hochkomplizierten Sprache nicht
verloren, und so motiviert sie uns immer wieder aufs neue, wenn Danielle und
ich an all den Schwierigkeiten dieser Sprache zu scheitern drohen.
Projektarbeit
Und
ja, wenn ich mich manchmal auch noch so sehr frage, welche verrückte Idee
mich gerade geritten hat, als ich mir gerade dieses Projekt aussuchte ( vor
allem wenn ich bei anderen Deutschen Volontären sehe, WIE nett man es
haben kann: ein eigenes Zimmer, konstant warmes Wasser, keine zehn
Stromausfälle am Tag, Taschengeld, geregelte Arbeitszeiten und vor allem
friedvolle, mit der deutschen Kultur vertraute MitbewohnerInnenJ ), dann weiß ich
schlussendlich doch, warum ich letztlich noch hier bin: wegen meiner
Projektarbeit.
Um
keinen Preis der Welt möchte ich die Erfahrung missen, mit einer solch
gemischten, schwierigen, aber auch gerade deswegen interessanten Nachbarschaft
zu arbeiten und Theater zu machen. Dankbar bin ich für die Erfahrungen,
die ich schon in Deutschland mit meiner regelmäßigen Theaterarbeit
mit Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen sammeln durfte, aber eben unter ganz
anderen Umständen. Dort kamen die Menschen zum Theater. Wir versuchen
hier, das Theater zu den Menschen zu bringen, was wahrhaftig kein einfaches
Unterfangen ist.
Und
dennoch diese Arbeit für mich mit die wichtigste in meinen
Tagesabläufen hier, .und
ich bin froh, dass sich nun eine gewisse Kontinuität entwickelt hat,
zumindest in den vier Projekten, die ich zur Zeit (mit) anleite.
Halissa
Ich
würde es als unser erfolgreichstes Projekt bezeichnen, dass Michael und
ich es geschafft haben, eine gute und stabile Theatergruppe im Kinderhort im
arabischen Viertel Halissa zu etablieren. Seit
Oktober arbeiten wir nun schon dort, mit vielen Anfangsschwierigkeiten, die
sich alle ausgezahlt haben: die Verbindung zu den Kindern ist trotz der
Sprachbarriere ganz wunderbar, und die Theaterarbeit so lebendig und
unerschöpflich kreativ, dass wir nun sogar auf eine kleine Produktion
hinarbeiten, in denen wir unsere Themenschwerpunkte „Tiere“ und „Gefühle“
miteinander verknüpfen wollen. Michael und ich arbeiten zur Zeit intensiv
an der Stückentwicklung, uns ist es wichtig, ein Stück selbst zu
schreiben, das genau der Arbeit, vor allem aber den Fähigkeiten und den
Wünschen der Kinder entspricht. Jedes Kind hat sich bereits ein Tier
ausgesucht, das es spielen will. Wochenlang waren wir nun mit dem Abnehmen und
Bemalen von Gipsmasken beschäftigt. Nun ist es vollendet: Jedes Kind hat
eine Maske und eine eigene kreative Identität als Tier. Vom Küken bis
zum Tiger ist alles vertreten, jetzt fehlt nur noch das große Treffen
aller Tiere auf der Bühne.
Es
ist schön zu sehen, wie die Kinder das Theater mittlerweile als etwas so
selbstverständliches ansehen und uns schon mit viel Vorfreue erwarten.
Gerade diese Kinder, die aus schwierigen Familienverhältnissen kommen und
die oft auch Gewalt in der Familie zu erleiden haben, finden über das
Theater oft eine Möglichkeit, ihre Gefühle, Ängste, aber auch
all ihre Lebensfreude und Phantasie zu kanalisieren.
Im
Mai werden wir uns auf die Bretter die die Welt bedeuten wagen, und wir hoffen
auf viele ZuschauerInnen, vor allem aber auf eines:
dass wir es schaffen, die jüdischen Kinder aus Neve
Paz nur für ca. 20 Minuten nach Halissa zu
bringen, was mit Sicherheit kein einfaches Unterfangen wird.
Neve Paz, Kat Gan
Und
da bin ich auch schon gleich beim nächsten Kindergarten angelangt. Der
Kindergarten in Neve Paz, einem Viertel das
mehrheitlich von äthiopischen Einwandererfamilien bewohnt wird, weshalb
auch die Mehrzahl der Kinder im Kindergarten äthiopisch ist. Es ist ein
sehr mittelloser Kindergarten, der sehr glücklich über unsere
freiwillige Arbeit dort ist, denn es scheint, als wäre andere Arbeit dort
bisher noch immer nicht so recht gefruchtet. Und auch uns fällt die Arbeit
dort nicht leicht: Die Kinder sind noch sehr jung, sie verstehen zwar alle
Hebräisch, sprechen aber noch recht wenig. Sie für 45 Minuten zu
beschäftigen und ihre Aufmerksamkeit zu erlangen, ist ein schweres
Unterfangen, denn sie sind noch nicht in der Lage, Spiele eigenständig
durchzuführen. Alles läuft über das Nachahmen - wird aber
irgendwas langweilig, verlieren wir sie ganz schnell, und es kann passieren,
dass wir dann unseren ganzen Plan umwerfen müssen, um auf die Kinder
direkt zu reagieren. Aber auch das ist eine Herausforderung, und es zeigen sich
schon erste Fortschritte, über die wir uns sehr freuen. An eine
Produktion zu denken, ist hier leider ausgeschlossen, aber wir freuen uns
daran, dass wir merken, dass auch die Kinder hier etwas vom Theater mitnehmen
und wir ihnen eine lustige Stunde in der Woche schenken können.
Kishon,
„Anglit derech Theatron“
So
heißt das Projekt von Danielle und mir an der Kishon-Schule, einer
bevölkerungsmäßig sehr durchmischten Junior-Highschool .
Übersetzt heißt es „Englisch durch Theater“ und initiiert wurde es
von der Matnas, dem jüdischen
Gemeinschaftszentrum, die mit der Bitte auf uns zukam, doch dort den Kindern
spielerisch die englische Sprache näher zu bringen.
So
haben wir nun dort begonnen und sind auf eine Gruppe von neun bis
zehnjährigen gestoßen, die einen unbändigen Spielwillen in sich
trägt, mäßige Englischkenntnisse vorzuweisen hat und vor allem
eines versucht: ihre Grenzen auszutesten. Nachdem Danielle und ich aber
erfolgreich vermitteln konnten, dass wir in unserer Gruppe nicht vorhaben, den
Schulunterricht fortzusetzen und dass man bei uns schreien und aus der Reihe
tanzen darf, aber auch, dass auch Theater Regeln braucht, sind wir in eine
schöne Arbeit eingestiegen, die den Kindern noch immer nicht so leicht
fällt, da wir kein einziges hebräisches Wort in der Stunde erlauben.
Alle Kommunikation soll in Englisch ablaufen, was für die Kinder anfangs
ungewohnt war, jetzt aber immer mehr zur Gewohnheit wird. Und nun haben wir
bereits große Pläne: Ein Stück muss her und eine
Aufführung. Denn nichts wollen sie mehr, als mit dem was wir gemeinsam
erüben, auf die Bühne steigen. Sie sind sehr stolz auf ihre
Fortschritte, die ihnen auch ihre Englischlehrerin attestiert und so sind wir
nun sogar am überlegen, eine zusätzliche Stunde zu finden, um der
Lernfreude der Kinder, die uns sehr glücklich macht, auch gerecht zu
werden.
Äthiopische
Mädchengruppe
Or und ich haben es endlich
geschafft: Wir haben ein gemeinsames Projekt. Obwohl wir die ersten waren, die
beschlossen gemeinsam zu arbeiten, auch weil wir herausfanden, dass wir nicht
nur mit der arabisch-jüdischen sondern auch mit der sehr stigmatisieren
äthiopischen Bevölkerung arbeiten wollten. Nach vielen erfolglosen
Unternehmungen haben wir sie nun endlich: unsere Mädchengruppe. Vermittelt
wurde sie uns über das Wohlfahrtsamt. Diese Gruppe ist ein
nachmittäglicher Treffpunkt für äthiopische Mädchen, die
aus vielerlei Gründen nicht zuhause sein können, sei es durch Gewalt
in der Familie oder durch schwierige Wohnverhältnisse.
Die
Mädchen sind sehr aufgeweckt und neugierig, sie haben uns sofort
angenommen, was nicht heißt, dass sie uns die gemeinsame Arbeit leicht
machen. Schnell hat sich herauskristallisiert, welche Themen unsere gemeinsame
Theaterarbeit beherrschen würden, alles Dinge, mit denen die 12-16
jährigen Mädchen in ihrem Alltag immer wieder konfrontiert werden:
Rassismus, Gewalt, Freundschaft und Lästereien.
Wir
haben begonnen, einen festen Rahmen für die Mädchen zu entwickeln, in
dem sie sich durch das Theater frei entfalten können. Über
Improvisationen entwickeln wir nun Bilder und Szenen zu den von ihnen
gewünschten Themen und hoffen sehr, dass sich uns angesichts der uns davon
laufenden Zeit noch eine Möglichkeit bietet, die Arbeitsergebnisse einer
Öffentlichkeit vorzustellen.
Auch
die anderen, bisher nicht erwähnten Kommunenmitglieder sind natürlich
alles andere als untätig. Khaled
leitet weiterhin seine Theatergruppe in Halissa mit
arabischen Jugendlichen mit großem Erfolg, Daniel gibt Stimmbildungskurse
in der Matnas, Or und
Daniel geben im Kindergarten der Matnas
Theaterunterricht und Renana und Ahmad haben eine
Gruppe mit arabischen und jüdischen Jugendlichen aufgebaut. Zudem arbeitet
Renana zweimal wöchentlich in einer Schule mit
einzelnen Kindern und sie macht mit Hila (aus der anderen Kommune)
Theaterunterricht im Kindergarten in unserer Straße. Or
und Hila (eine Theaterstudentin der Uni Haifa) arbeiten in einem
Gemeinschaftszentrum mit jüdischen, arabischen, russischen und
äthiopischen Kindern, sowohl als Theatergruppe als auch in der
Hausaufgabenbetreuung.
Alle
glauben wir an die frühzeitige Erziehung zu Toleranz, Miteinander,
Demokratie und Gewaltlosigkeit. Unsere Arbeit in den Kindergärten ist
deshalb so wichtig, weil sie den Kindern von Anfang an durch das Theater
friedliche Verständigung, die Selbstverständlichkeit und
Gleichberechtigung mehrer Kulturen und Sprachen und auch die Möglichkeiten
zur gewaltfreien Konfliktlösung über die Sprache und den Ausdruck
bietet. In einem Gebiet, in dem Kinder schon von klein auf mit Vorurteilen,
Rassismus, Gewalt und Misstrauen aufwachsen, stellt unsere Arbeit ein kleines
Gegengewicht zu diesen Einflüssen dar, und bietet den Kindern die
Möglichkeit, auch andere Wege im menschlichen Miteinander kennen zu lernen.
Geplante
Projekte
Renana und ich sind dabei unsere
ersten Probenpläne für unsere im April beginnende Gruppe in einem
Heim für geistig Behinderte hier bei uns in der Straße aufzustellen.
Spät haben wir dieses Heim erst entdeckt, dann aber sofort einen Kontakt
geknüpft, sie aus Neugier, ich aus Sehnsucht nach meiner Arbeit in
Deutschland in „AndersArtig“ im Staatstheater. Wie
gerne erinnere ich mich an die gemeinsame Theaterarbeit dort zurück, auch
die „Entdeckungen“ in Bonn, integrative Theatertage, an denen ich zweimal
teilgenommen habe. Und dennoch stelle ich mich hier auf eine vollkommen andere
Situation ein, bisher kenne ich die Menschen
dort nur flüchtig, viele haben auch mit psychischen Störungen
wie Angstzuständen und Aggressionen zu kämpfen, die nicht alle,
teilweise aber auch Symptome des letzten Krieges hier in Haifa sind.
Zur
Zeit halte ich mich viel in „Kfar Tikwa“
auf, übersetzt „Dorf der Hoffnung“, in der Nähe von Tivon, ca. eine halbe Stunde von hier. Dort hingelangt bin
ich über deutsche Freunde, die dort Volontäre sind. Das Dorf selbst
ist eine Einrichtung für geistig behinderte Menschen, die dort leben und
arbeiten, es hat ein wenig „Camphill“-Charakter. Ich
liebe meine Stunden dort in „Kfar Tikwa“,
denn im Gegensatz zu unserer Kommune finde ich dort eine Ruhe und
Ausgeglichenheit, auch in den dortigen Tagesabläufen, die wir hier so
nicht haben. So verbringe ich viel Zeit mit den Behinderten bei der Arbeit in
der Töpferei, oder auch in der Gartenbaugruppe in der wunderschönen
Natur. Momentan überlege ich noch, einen Tag in der Woche dort zu arbeiten
oder vielleicht auch dort eine Theatergruppe zu gründen, weiß aber
noch nicht, inwiefern es sich mit meinen Tagesabläufen hier einrichten
lässt.
Die
Zeitbank: Seit einer Woche bin ich nun auch Mitglied der so genannten „TimeBank“, einem Projekt der Matnas
mit der hier lebenden Nachbarschaft. Dies bedeutet, dass Menschen miteinander
Zeit austauschen; anstatt für bestimmte Dienstleistungen Geld zu
verlangen, wird Dienstleistung gegen Dienstleistung gestellt. Ich zum Beispiel
biete meine Dienste beim Babysitten, Einkaufen, Englisch und Französisch
lernen und beim Putzen an, bekomme dafür im Gegenzug meine Wäsche
gewaschen, Hebräischunterricht oder Unterstützung im täglichen
Kampf mit meinem Laptop. Ich finde das Projekt toll, ermöglicht es doch,
dass Menschen, die sich zum Beispiel einen Babysitter nicht leisten
können, nun Hilfe erhalten und diese durch eine Hilfe in einem anderen
Bereich „bezahlen“ können. Aber eben ohne Geld. Jeder macht das, was er
kann und mag und bekommt im Gegenzug Hilfe und das was braucht.
Freizeit
Auch
sonst ist meine Zeit hier sehr ausgefüllt mit vielen Unternehmungen,
Reisen und so manchen bewegenden Begegnungen. Israel beeindruckt mich in seiner
Vielfalt und (teilweise versteckten) Schönheit sehr und ich freue mich,
immer wieder über neue Entdeckungen. Auch in Palästina bin ich nach
wie vor gerne und mit viel Neugier, es haben sich Bekanntschaften ergeben und
interessante Menschen gefunden, die dort wertvolle Arbeit leisten und viel zu
erzählen haben, über das Land und die Menschen, die Probleme, die
Hoffnungen und die Ängste.
Doch
nach wie vor ist die Situation dort noch sehr angespannt, was man so manches Mal
am eigenen Leib zu erfahren bekommt, wie z.B. als wir einen Tag in Nablus verbrachten und
an diesem Tag die Israelis die Altstadt besetzten, um vermutliche Terroristen
herauszuholen, und wir mitten drin standen, im Chaos, in dem Schüsse
fielen, Steine flogen und Tränengas versprüht wurde. Gleichzeitig
wurden wie in dieser für uns sehr angespannten Situation aber auch mit der
Gleichmütigkeit der Menschen konfrontiert, die in der großen
Mehrheit mit dem Terrorismus wenig zu tun hat, tagtäglich aber mit äußerster
Gewalt und Bedrohung konfrontiert wird. Während wir also „flohen“, weil es
für uns als Ausländer zu gefährlich „sei“ (in Nablus werden
öfter Touristen verschleppt, was dazu führt, dass kaum noch Touristen
sich in diese Stadt in der Westbank trauen, keiner sich also ein eigenes Bild
der Situation dort machen kann, oft sind die Gründe nämlich keine in
dem Sinne politisch sondern vielmehr kriminell motivierten, die aus einem
gravierenden Elend herrühren), blieben die Menschen, wo sie waren und
gingen ihrem Alltag nach. Um die Stabilisierung und Beruhigung der Situation
abzuwarten, führten uns arabische Freunde in ein Flüchtlingscamp der
Vereinten Nationen, in dem vor allem Familien leben, die 1948 aus ihren
Städten fliehen mussten, da diese von den Israelis besetzt oder
übernommen wurden. Dort waren wir bei einer palästinensischen Familie
eingeladen, achtköpfig, die sich zum leben, arbeiten und studieren einen
Raum und ein kleines Badezimmer und Küche teilen. Wie üblich wurden wir
mit großer Freundlichkeit und Offenheit empfangen und verbrachten einen
interessanten Nachmittag, der uns viel mitgegeben hat.
Eine
weitere Begegnung hat mich auch sehr beeindruckt: Roual,
ein Mitte bis Ende Zwanzig jähriger, seit langem Fatah-Mitglied, traf beim
Mittagessen zu uns. Seit Jahren macht er mit palästinensischen Kindern aus
Nablus Zirkus, nur um diese von der Straße wegzuholen und ihnen ein
Mindestmaß an Beschäftigung zu gewährleisten. Roual ist wütend auf die Politik der Hamas, alles sei
schlechter geworden, seitdem sie an der Macht sei, schimpft er. Die Fatah habe
wenigstens gehalten was sie versprochen habe. Für ihn ist die Anerkennung
Israels der einzige Weg zum Frieden, aber dies auch nur mit der Rückkehr
zu den Grenzen von 1967. Aber seine Zukunftsvision ist überaus
pessimistisch: Es sieht nicht, dass sich irgendwas bewegt, nur, dass es den
Menschen in Palästina von Tag zu Tag schlechter geht, dass Perspektiven
fehlen und Möglichkeiten. Wenn das Nötigste, wie Nahrungsmittel und
medizinische Versorgung nicht gewährleistet seien, so Roual,
wie solle dann das übrige, für ihn wichtigste Gut, die Bildung, sich
in Palästina etablieren lassen? Nur durch die Bildung, glaubt er,
könne eine Generation heranwachsen, die an etwas anderes als an Gewalt und
Terror glauben würde. „Aber wie“ fragt er „soll das passieren, wenn Du Tag
für Tag sechs bis zehn Checkpoints passieren musst, vier bis fünf
Stunden Schlange stehst und Du dann auch noch, wenn Du mit Deiner Zirkustruppe
ausreisen willst, Deinen Flieger nach Deutschland verpasst, weil sie dich nicht
durchlassen?“
Roual ist sehr kritisch mit dem
eigenen Volk. Er sagt auch, dass sich in den Strukturen des
palästinensischen Volkes viel ändern muss, bevor sich im
Verhältnis zu Israel wirklich etwas ändern kann. Die Korruption und die
Machtgier seien vielen Politikern wichtiger als das eigene Volk, sagt er. Und
solange das so sei, gebe es keine Hoffnung für das palästinensische
Volk und auf
einen israelisch-palästinensischen Frieden.
Auch
sein Freund hätte uns bestimmt viel zu erzählen gehabt. Aber er ist
kaum zur Schule gegangen, spricht also kein Englisch. Lange war er in
israelischer Haft, unter Terrorverdacht und hat auch Angehörige durch
israelische Angriffe verloren. Als uns die beiden verlassen, geben sie uns nur
einen Tipp: „Geht nicht in die Altstadt, dort sind die Israelis, es ist
gefährlich“
Den
gleichen Satz habe ich Tage zuvor von einem Israeli, nur andersherum
gehört: „Geht nicht in die Altstadt, dort wird jeder Tourist
entführt“.
Auf
dem Weg zurück, stehen wir insgesamt vier Stunden im Checkpoint- Stau.
Eine
weitere schöne Erfahrung, eine Erweiterung meiner geographischen Schritte
war auch unsere Reise Anfang März nach Jordanien. Von Al-Akaba im Süden sind wir ins Wadi Rum gereist, haben
eine Nacht bei Beduinen übernachtet, um dann zwei Tage das
wunderschöne Petra zu genießen und dann von Amman aus die
Rückreise anzutreten.
Jordanien
und seine Menschen zu beschreiben, würde jetzt hier den Rahmen vollends
sprengen, aber eine beeindruckende Begegnung möchte ich Euch doch gerne
beschreiben, sie hat einen starken Eindruck bei uns allen hinterlassen und uns
vor allem viel Hoffnung gemacht.
Als
wir den Rückweg vom Tempel auf einem Berg in Petra, der alten Felsstadt
antreten, passieren wir viele Schmuckstände, an denen junge Beduinenfrauen
Schmuck zum Verkauf anbieten. An jedem Stand die gleiche Situation: Man lockt
und bittet uns näher zu treten, zu schauen, alles koste schließlich
nur einen Dinar (ca. 1,20 Euro). Dann passieren wir einen Stand an einer
schmalen steinigen Straße, eine junge Frau, vielleicht 18, sitzt auf
einer Mauer. Schon auf dem Weg hoch habe ich sie dort sitzen sehen, vertieft in
einen Notizblock. Sie schaut nicht auf, als wir vorbeigehen, ruft uns aber ein
einem perfekten Englisch kurz zu „zwei Teile für den Preis von einem“ und
vertieft sich wieder in ihre Lektüre. Neugierig frage ich sie, was sie
denn da lerne, das sie so in Anspruch nehme. Sie antwortet mir, dass sie
Englisch lerne, gerade habe sie die lateinischen Buchstaben gelernt und
müsse jetzt das Schreiben lernen. Sofort entspinnt sich ein Gespräch.
Amal heiße sie und sei aus dem Beduinendorf oberhalb von Petra. Dort habe
sie regelmäßig Englischunterricht bei einem Freiwilligen aus
Amerika. Sie lebt dort mit ihrer Mutter, einer Schwester und einem Bruder, der
Vater ist vor einigen Jahren verstorben. Ihr Englisch ist perfekt, sie selbst
aber überzeugt davon, noch viel lernen zu müssen. Ob denn alle so gut
Englisch sprechen, in ihrem Dorf, fragen wir sie. Nein, niemand, sagt sie,
keiner würde das je brauchen. Sie aber, sie will nach England gehen und
dort Tourismus studieren. Sie hat große Hoffnungen, will raus aus dem
Land, das sie aber noch nie verlassen hat. Ihre Familie begegne diesem Wunsch
aber mit absolutem Unverständnis. Amal setzt viel Hoffnung in die Hilfe
des jordanischen Könighauses. „Wir haben einen guten König“, sagt
sie. „Er ist modern, in England aufgewachsen, er wird bestimmt mal her kommen
und dann spreche ich mit ihm, er wird mir helfen und vor allem mit meinem
Bruder sprechen“, ist sie sich sicher.
Amal
hat ein großes Ziel, so zu werden wie die amerikanische Talkmeisterin Oprah Winfrey.
Auch die, sagt sie, komme aus einer armen und mittellosen Familie und habe es
von alleine geschafft, die Größte zu werden.
Komisch
irgendwie, dass wir alle irgendwie an ihren Worten und ihrem Willen absolut
keinen Zweifel haben.
Die
Zeit ist vorangeschritten, wir müssen weiter. Leider. Es fühlt sich
fast schon an, als hätten wir wirklich eine Freundin gefunden. Dann kommen
drei Leute vorbei, wir halten sie an und bieten ihnen Amals
Ware an, nur um unsere Geschäftstüchtigkeit zu überprüfen.
Eine der drei Frauen wirkt verängstigt, versteckt sich hinter einer
großen Sonnbrille. Amal spricht sie auf arabisch an, die Frau reagiert
nicht. Amal ist überzeugt, dass sie eine Araberin vor sich hat, die bittet
die Frau, kurz die Brille abzunehmen. „Siehst Du“, sagt sie zu der Frau, „Du
hast arabische Augen“. Die Leute gehen schnell weiter. Ein vorbeikommender
Bekannter berichtet Amal, diese Frau sei eine Israelin gewesen. Amal zuckt mit
den Schultern: „Araber, Jude, Deutscher…ist mir doch egal, wir sind doch alle
nur Menschen.“ Und dann setzt sie sich hin und lernt weiter die lateinischen
Buchstaben.
„Araber,
Jude, Deutscher…wir sind doch alle nur Menschen“, dieser Satz hat sich auch in
der letzten Woche wieder bestätigt, als wir gemeinsam hier meinen
20.Geburtstag gefeiert haben. Eine große Feier draußen musste wegen
dem unbeständigen Wetter leider ausfallen, aber eine ganz kleine hier in
der Wohnung habe ich mir doch nicht nehmen lassen. Nur selten bekommt man die
Möglichkeiten, kulturell so gemischt seinen Geburtstag begehen zu
können.
Es
war ein schöner, gemütlicher Abend, es wurde viel geredet, vor allem
Deutsch (mit Freunden aus Kfar Tikwa),
was meine MitbewohnerInnen etwas bemängelten:
„Wir verstehen ja gar nichts“. Von mir gabs nur die
Gegenantwort: „Jetzt wisst Ihr wenigstens, wie ich mich hier am Anfang
gefühlt habe“. Aber ansonsten haben alle zusammen nur eines bewiesen: Egal
welcher Kultur, welcher Religion oder Weltanschauung man sich zugehörig
fühlt, feiern können wir alle zusammen, da sind wir wirklich „einfach
nur Menschen“ (Amal).
Ihr
Lieben, mal wieder ein langer Rundbrief. Soviel ich hier auch lerne, das
Kurzfassen werde ich mir hier wohl nicht mehr beibringen. Bevor ich aber nun
endgültig schließe, lasst mich Euch nur eine kurze freudige
Mitteilung machen: „Nemashim“ wird nach Deutschland
kommen. Vom 30.Mai bis zum 10.Juni sind wir nach Gießen in ein deutsches
Theaterprojekt eingeladen und werden am 8. und 9.Juni auf dem Kirchentag in
Köln auftreten. Eine Gelegenheit uns zu treffen, wenn ihr wollt, ist also
bestimmt nicht ausgeschlossen. Des weitern suche ich noch Möglichkeiten,
in Schulen, Institutionen und Organisationen kommen zu können, um ein
wenig über unser Projekt und unsere Arbeit berichten und vielleicht noch
ein paar Spenden für das Projekt sammeln zu können.
Ich
werde also ab Mitte Mai in Deutschland sein. Wenn Ihr also Ideen oder
Vorschläge habt, lasst es mich bitte wissen oder gebt meine Kontaktdaten
weiter (amina.nolte@gmx.net oder
Handy: 00972-543068391). Weitere Infos zu uns und unseren laufenden Projekten
findet Ihr wie gehabt unter www.mideastweb.org/nemashim
im Internet und ich freue mich auch immer wieder über Euer Feedback. Ich
füge diesen Rundbriefen keine Fotos mehr an, damit die Datei nicht noch
größer wird als sowieso schon, aber unter www.noltagie.de.vu stelle ich immer meine
schönsten Eindrücke online.
Ich
wünsche Euch eine schöne Frühlingszeit, schöne Ferien
(für die, die sie haben) und Frohe Ostern!
Das Buch
über NEMASHIM:
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