Nemashim

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شباب يعيشون مسرح

palästinensisch-jüdisches Jugendtheater

ðîùéí - ðåòø îùç÷ ùìåí

 

Dies ist der letzte Bericht von Amina, die ein Jahr lang mit uns war, aus Deutschland kam, nach ihrem Abitur, um uns zu helfen. Nicht mit allem, was sie schreibt, bin ich einverstanden, aber das ist auch gut so...

 

Ihr Lieben,

 

Es ist Mitte August. Sommerzeit in Israel. Ich sitze im Wadi Yehudia, einem Naturreservat im Golan ganz im Norden Israels (vor 1967 noch zu Syrien gehörend), der Sommerwind bläst, die Nachmittagssonne scheint noch und der Shabbat legt sich langsam und sachte für 24 Stunden über dieses Land, durch welches wir gestern unsere Trampreise durch den Norden begonnen haben. Jetzt, hier draußen sitzend, ist seit den Erlebnissen und Geschehnissen der letzten Wochen endlich auch ein wenig Platz und Ruhe für einen Rückblick, nicht nur auf die letzten zwei Monate, nein, auch auf dieses ganze Jahr, mein Jahr in Israel. Es ist der Letzte meiner Rundbriefe aus Israel an Euch, der letzte Bericht von Nemashim und meinen großen und kleinen Beobachtungen zum Leben in diesem Land. Die erwünschte Unizusage ist eingegangen, nun klopft die Zukunft an die Tür und fordert ein großes Maß an Aufmerksamkeit ein. Und dennoch: noch bin ich hier, lebe mit Renana, Khaled, Or, Daniel und Ahmad in Halissa, probe mit ihnen fast täglich im Bunker unserer Straße für unsere letzte Premiere, die gleichzeitig das Ende unserer gemeinsamen Zeit markieren wird und versuche gleichzeitig noch so viele Eindrücke wie möglich, auch geographisch gesehen, mitzunehmen. Turbulente Wochen liegen hinter uns: In Gaza regiert die Hamas, Olmert besucht als erster israelischer Staatschef seit sechs Jahren die besetzten Gebiete, im Westjordanland erschießt ein israelischer Soldat einen palästinensischen Jungen, der ihn mit einem Plastikgewehr „bedroht“ hat, in El Azariah wird mit den Beduinenkindern das alljährliche Sommercamp begangen, in Kfar Tikwa erfreuen sich die behinderten Menschen am erfrischenden Nass des dorfeigenen Pools und wir, wir haben uns nach wochenlangen Auswahlverfahren, Abwägungen und hitzigen Diskussionen für das Stück unserer letzten großen Theaterproduktion und somit gleichzeitig für eine nicht ganz einfache und friedliche Restzeit  miteinander entschieden.

 

Diese Zeilen schrieb ich vor zwei Wochen bei einem Ausflug in Israels Norden bzw. dem annektierten Bereich Syriens mit meiner Freundin Sophia aus Deutschland.

Nun sitze ich bereits in Jerusalem, auf gepackten Koffern. Unsere gemeinsame Wohnung in Haifa ist leer, meine ehemaligen MitbewohnerInnen alle nachhause zurückgekehrt. Wir haben unser gemeinsames Jahr beendet und es bleibt mir noch eine Woche in  diesem Land, das für ein Jahr meine Heimat war. Noch eine Woche zum nachwirken lassen, reflektieren, erleben, wiedersehen und vor allem zum verabschieden. Doch den schwersten Abschied haben wir in der letzten Woche schon hinter uns gebracht, den Abschied von unserer gemeinsamen Zeit in unserer kleinen Wohnung in Halissa. Momentaufnahmen, beim Ausziehen, wir packen ein Jahr Erinnerungen ein, von der Gegenwart in die Vergangenheit, nun sind unsere gemeinsamen Tage und Nächte, unsere gemeinsame Arbeit, unsere ganzen Wortspiele, Witze und Geheimnisse ein Teil unserer gemeinsam begangenen Vergangenheit. Der letzte arabische Kaffee auf dem Balkon mit dem Blick aufs Meer, das letzte Mal unser Kommunenlied auf der Gitarre anstimmen, die gemeinsamen Bilder, Plakate und Fotos von der Wand abnehmen, die Nachbarn bringen ein letztes Mal köstliches Essen für die nicht immer leisen, aber stets freundlichen Idealisten nach oben. Ein letzter gemeinsamer Tag am Meer. So aufhören wie es auch vor einem Jahr begann. Zusammen. Nun kennen wir uns. Wirklich. Ein Jahr gemeinsamer Alltag hat aus uns nicht nur Freunde, sondern auch Verbündete gemacht, intime Kenner der Macken, Fehler, Schwächen des jeweils anderen, aber eben auch mit stets größer werdenden Anerkennung im Miteinander, dem stets im Raum schwebendem trotzdem, das die eine Seite nicht ausblendet, sondern es geschafft hat gerade diese auch anzunehmen, so dass wir sagen können, dass wir es trotzdem, trotz all dem Ärger, der Wut, dem Hass, den Ängsten und dem Frust geschafft haben, zusammen zu bleiben, nicht immer geeint, immer doch aber als Menschen, die wussten, dass es da etwas gab, für das es wert war zu kämpfen.

 

„Erinnerungen an die Rückkehr nach Haifa“ – Das Stück war in Hebräisch und Arabisch, und während des Stückes wurde dem Publikum mit Untertiteln geholfen

 

Stückauswahl sechs Wochen zuvor: Hitzige Diskussionen, hoch kochende Emotionen, Interessenkonflikte. Wer spielt mit, wer nicht, was spielen wir und wie und wann und wo? Wir entscheiden uns für Peanuts, machen letztendlich dann doch „die Rückkehr nach Haifa“. Ich werde nicht mehr auf die Bühne gehen, habe mich entschieden, unsere letzte Produktion lieber hinter den Kulissen zu begleiten, meinem Interesse an Regiearbeit und Organisation nachzugehen und nicht aus dem Gefühl der Notwendigkeit oder  der Verpflichtung meiner Gruppe gegenüber mein mulmiges Gefühl beim selbst spielen zu unterdrücken. Es wird ein Experiment, ich wechsle die Seite, von meiner Gruppe hin zu Shadi und Uri. Von nun an bin ich die Lobbyistin. Geschickte Interessenvertretung der Kommunenmitglieder ist angesagt, gleichzeitig aber auch Konflikte vorprogrammiert: stand man noch bei SHATOF geschlossen als Gruppe auf der Bühne, war nun ich plötzlich dazwischen, traf Entscheidungen mit Uri und Shadi und musste diese dann auch umsetzen, zwar im versuchten aber dennoch nicht immer im gemeinsamen Konsens.

 

Said und Safiyye werden 1948 von Haifa vertrieben.

 

 

 

Proben: Es kostet viel Kraft: Wir stehen der Sommerhitze mit unserer Diskussionen im kühlen Bunker in unserer Straße um nichts nach. Es geht um Israel und Palästina. Um die Frage nach dem Rückkehrrecht der Palästinenser und der zunehmenden Dominanz der Israelis im ehemaligen Palästina. Wir streiten. Um Sätze und Aussagen, um Sprache und Endzeilen. Renana spielt eine Palästinenserin auf hebräisch, Khaled einen Juden auf arabisch. Der Konflikt beginnt in jedem selbst, das Rollenspiel auf der Bühne wird zum schwierigen Balanceakt und kollidiert mit den eigenem Ängsten in der Realität: Aus toughen SchauspielerInnen werden zweifelnde Individuen, die es plötzlich doch interessiert, was die Familie im Kibbutz denkt, der Vater, der so lange in der Armee war oder auch der arabische Vater, der unermüdlich gegen die Besatzung kämpft, was werden sie wohl sagen, zu unseren bewussten aber ungleich schweren Grenzüberschreitungen auf der Bühne, die ja lediglich Spiegelbild der sehr persönlichen und schmerzhaften eigenen Grenzüberschreitungen jedes einzelnen in unserer Gruppe waren?

Darf das Stück mit einer Karte Palästinas, auf der alle arabischen Orte eingezeichnet sind, beginnen und damit aufhören, dass fast all diese am Ende durch hebräische Ortsnamen ersetzt werden?

Aus politischen Tatsachen wurden ideologische Streitfragen, in langen Gesprächen, auch mit Inass, entstanden persönliche Auseinandersetzungen und Verletzungen, es ging um die Schoah und um Al Nakba, um die Frage nach dem richtigen Ende des Stückes, ob es dieses überhaupt geben könne und auch darum, mit welchem Gefühl wir die  Zuschauer nachhause schicken wollen. Wir waren uns in nichts einig. Und gerade aus dieser Tatsache heraus entstand unsere neue Produktion, die gerade all dies auf die Bühne bringt und auch erst gar nicht den Versuch unternimmt, Partei zu ergreifen oder gar einen Konsens zu erzielen.

 

Das sich ändernde Bühnenbild: Die Landkarte von Palästina à Israel

 

Zu der inneren Zerreißprobe jedes einzelnen, aber auch der Gruppe gesellt sich ein weiteres großes Problem, die äußeren Einflüsse, dieses Mal in Form des Matnass, dem jüdischen Gemeinschaftszentrum, behaupten ihre Wichtigkeit: die weitere Zusammenarbeit wird uns aufgrund politischer Differenzen versagt, man will nicht mit Menschen zusammen arbeiten, die die Frage des Rückkehrrechts auf die Bühne bringen, dies zudem noch in einer sehr rechtsgerichteten Nachbarschaft. Man entlässt uns. Keine Bühne für uns, keine Kooperation mehr. Ein bitterer und undankbarer Abschied und ein gleichzeitiger Beweis für die Tragweite unseres Projektes und der politischen Schlagkraft des  Stückes.

Behandelt wird darin die Geschichte eines doppelten Anspruchs, des Anspruchs der Verdränger und der Verdrängten. Zwei sehr unterschiedliche Elternpaare stehen sich 1967 im Streit um den Sohn gegenüber: die palästinensisch-arabischen Flüchtlinge und die polnisch-jüdischen Immigranten. Die einen haben im Verlauf des Krieges von 1948 Land, Haus und sogar das Kind verlassen müssen, die anderen haben all das übernommen, nachdem sie selbst anderswo (weit weg von Palästina und ohne das geringste Verschulden der Palästinenser) vertrieben worden waren. Der zurückgelassene palästinensische Sohn ist als Jude im Haus der Immigranten aufgewachsen und leistet, beim Besuch seiner leiblichen Eltern in Haifa kurz nach dem Sechs-Tage-Krieg im Juni 1967, gerade seinen Militärdienst.
Eine Lösung für den Konflikt bietet weder die eine noch die andere Seite. Denn einer solchen müsste zwingend die Anerkennung einer Schuld, eines begangenen Unrechts vorausgehen, sonst werden sich - so das Ende der Novelle - junge Männer wie Khaled, der zweite, nach der Flucht geborene Sohn des vertriebenen palästinensischen Ehepaars, weiterhin Kampfgruppen anschließen

Das Stück gliedert sich in drei Teile, Teil 1 und 3 sind Teile der Geschichte Kanafanis, Teil 2 ist eine gewisse Eigenproduktion, die das geschriebene Drama Jalalis zwar vorgibt, die wir aber, auch aufgrund der Erfahrungen unseres einjährigen Zusammenlebens und Arbeitens entwickelt, aufgeschrieben und umgesetzt haben. Wir nennen diesen 2.Part „Alptraum“, was es letztendlich ist und inwieweit es mit Teil 1 und 3 verbunden ist, bleibt dennoch im Auge des Betrachters.

 

Part 1

Haifa 1948. Die Staatsgründung Israels ist fast vollzogen. Zu Tausenden werden jüdische Menschen aus der Diaspora in das, ihnen verheißene und nun auch zugebilligte Heilige Land gebracht. In dieser Etappe erobern die jüdischen Truppen mit Unterstützung der Terrorgruppen Irgun, Etzel und Lehi Städte mit gemischter Bevölkerung wie Haifa, Tiberias und Safed, sowie die rein arabischen Städte Jaffa, Akka und Bissan (heute: Beth-She'an).  In diese Etappe fällt unter anderem die Aufgabe Jerusalems durch die britischen Truppen und das Massaker von Deir Jassin durch Truppen der Etzel und Lehi am 9. April 1948, dem mehr als 200 Dorfbewohner zum Opfer fallen. Durch diesen Terrorakt beschleunigt sich die Flucht der palästinensischen Bevölkerung.

Wir sehen Miriam und David, zwei Überlebende Juden aus Auschwitz, sie kommen in dieses Land, hoch traumatisiert, haben beide Familie und Freunde in den Lagern in Polen verloren und erreichen die Straßen Haifas, die für sie den versprochenen Neubeginn in Israel bedeuten. Gleichzeitig sehen wir Safiye und Said, ein junges palästinensisches Paar, sie haben einen sechs Monate alten Sohn, Chaldoun. Said verlässt morgens das Haus, um auf den Markt zu gehen, Safiye bleibt mit Chaldoun in ihrem Haus in Haifa. Es brechen Unruhen, später Kämpfe aus, jüdische und arabische Gruppen bekämpfen einander, die Briten verlieren die Kontrolle über die Situation. Safiye verlässt das Haus nur kurz, um auf der Straße nach Said zu schauen. Sie wird von den Menschenmassen weggetrieben, findet keinen Weg zurück zu dem Haus, in dem ihr kleiner Sohn alleine schläft.

Gleichzeitig gelangen David und Miriam in diese Unruhen, bei der Beobachtung der brutalen Straßenszenen kommen alle Traumata der beiden wieder hoch, Miriam erinnert sich an ihre Eltern, die im Krematorium verbrannten, sie will ihnen nachfolgen, sie erinnert sich an die Nazis und die Methoden, die diese nutzten, um sie unfruchtbar zu machen. Miriam kann kein „jüdisches“ Kind mehr gebären, im Rückblick hat diese schreckliche Tatsache alle anderen traumatischen Erfahrungen am stärksten überlagert.

Said und Safiye werden an den Hafen getrieben, treffen sich dort wieder. Sie werden verschifft, aus ihrer Stadt vertrieben. Ihr Sohn Chaldoun bleibt alleine im Haus in Haifa zurück.

Miriam und David wird nun ein Angebot unterbreitet: Sie bekommen ein Haus in Haifa, mit allem was sie brauchen, unter einer Bedingung: das sie ein verlassenes palästinensisches Kind adoptieren.

 

Juden und Araber machen Yoga, um den Konflikt zu überwinden.

 

2.Teil

Zu keiner Zeit an keinem wirklichen Ort. Lose Szenenfolgen. Sequenzen, die ein kurzes Bild abgeben, vom Leben in Israel, als Jude, als Palästinenser, als israelischer Araber. Ein Blick auf eine Gesellschaft, die sich mit Yoga vermeintlich ruhig stellt und locker gibt, die aber unter der Oberfläche eine Menge mit sich rumschleppt, an unbewältigten Erlebnissen, Erinnerungen, Schuldgefühlen, Machtansprüchen und vor allem Ängsten und dem gleichzeitig unbändigen Willen zu nehmen was da ist, zu genießen und zu feiern, jeden Tag als den womöglich letzten anzunehmen, zu leben, immer auf dem Drahtseil zwischen Höhenflug und Abgrund. Realität in Israel, manchmal ein Leben wie ein langer Alptraum.

Aber es ist vor allem auch eines: unser persönlicher Nahost-Konflikt. Unsere geschriebenen und erzählten Erfahrungen, nach einem Jahr, in dem wir Alltag, Gedanken, Sprachen, Leben und Lieben geteilt haben. Wir haben keinen Frieden gefunden, wir haben uns auf den Weg dorthin begeben, zusammen, ohne die großen Unterschiede zwischen uns zu verleugnen, nicht die persönlichen, die kulturellen, die religiösen und auch nicht die politischen.

Das ist, was auf der Bühne passiert: Yoga. Wegträumen, Wegdenken, Säubern der schlechten Gedanken, es gelingt nicht, immer wieder unterbrechen Selbstmordanschläge, palästinensische Flüchtlinge, Checkpoints, Tote, Krieg und Zerstörung die vermeintlich glatte Oberfläche. Konzentration gelingt nicht.

Vom Yoga kommt man zu den Antidepressiva, aber auch hier wird die Übereinstimmung aller, das kurze Leben zu genießen, von einem Aussteiger zerstört, dann die Frage: wo ist mein Dorf, wer hat mein Dorf gesehen, es war doch hier, genau dort wo jetzt Rosh Pina ist und wer meinen Vater, und vielleicht meine Mutter, nein, sie sind im Konzentrationslager verbrannt,  nein, aber sie sind doch im Kibbutz und das Kibbutz steht dort, wo die anderen mal lebten, dort, wo mal El Tantura war…

Ist die Thora der lebenslange Mietvertrag und Anspruch der Juden auf das Heilige Land, wieso sprechen die jüdischen Israelis nach fast 50 Jahren „Koexistenz“ noch kein Arabisch,  muss man sich entscheiden ob man über „Al Nakba“ (Vertreibung der Palästinenser“) oder über die Schoa weint, kann ein Araber einen Juden beschützen und andersrum (oder ist das Verrat?) und warum sagt eine arabische Puppe „Schluss mit dem Ramadan“?

 

Said und Safiye im Flüchtlingslager

 

Warum machen wir Theater, spielen freiwillig diese und jene Rolle, warum spricht eine Araberin Hebräisch, kann die „Stimme von oben“ den Kommunen-Nahostkonflikt lösen, indem wir über unsere Gefühle sprechen und warum verdammt verschwinden da immer mehr arabische Dörfer wie „von selbst“ von der Landkarte und warum hat ein Soldat Dreadlocks wie ein Pazifist, ist das erlaubt?

Und immer wieder sind Masken ein Teil des Spiels, die Frage nach dem Echten und dem Falschen tritt in den Raum, dem Verstellen und dem Ich-Sein, in  einer Gesellschaft, die gerade dem ja so entgegen arbeitet. Identität und Authentizität werden abgelöst von verschiedensten Rollenbildern, die jede/r einzelne tagtäglich übernimmt oder sich auch überstülpen lässt, die verstellen sollen, darstellen und gleichzeitig dann im Alptraum so demaskierend sind.

Es ist ein verwirrendes Hin und Her auf der Bühne. Ich habe jetzt einfach einen kurzen Überblick gegeben, mehr indem ich Fragen aufgeworfen habe, Fragen, auf die wir auch im Stück keine Antworten geben, die wir anspielen und als Fragezeichen im Raum stehen lassen. Lasst Euch davon einfach inspirieren, zu euren eigenen Gedanken und Erfahrungen hier. Es wäre falsch, hier über die richtige und falsche Interpretation zu streiten. Wir geben keine vor.

Es ist ein Alptraum. Wir nennen ihn so, weil wir hoffen, dass man daraus aufwachen kann.

 

Said und Safiye kehren nach 19 Jahren in ihr Haus zurück.

 

3.Teil

 

1967. Haifa. Israel hat den Sechs-Tage Krieg gewonnen, Sinai, Golan und große Teile Palästinas erobert.

Said und Safiye leben in der Nähe von Ramallah, 20 Jahre trennen den Tag ihrer Vertreibung aus Haifa von der Entscheidung, genau dorthin zurückzukehren. Safiye hofft noch immer auf ein Lebenszeichen von Chaldoun, ihrem Sohn, auch wenn sie weiteren Kindern, u.a. ihrem Sohn Khaled das Leben geschenkt hat. Khaled kämpft nun im palästinensischen Widerstand gegen die Besatzung.

Sie machen sich auf nach Haifa, zu dem Haus, das sie einst bewohnten, in dem nun Miriam und Dov leben, David ist im Krieg gefallen.

Sie treffen zuerst auf Miriam, die sie seltsam gefasst und nicht einmal überrascht erwartet. Sie hat jeden Tag mit dem Erscheinen der einstigen Besitzer gerechnet. Safiye und Said sind nicht nur mit der Tatsache konfrontiert, dass tatsächlich jemand anderes ganz selbstverständlich ihr ehemaliges Heim bewohnt, vieles dennoch gleich geblieben ist, nein, sie erfahren auch, dass Chaldoun, der nun Dov heißt, noch am Leben ist.

Dov erscheint. Er ist Soldat bei der israelischen Armee, er weiß um seine biologischen Eltern und auch, dass er als Palästinenser geboren wurde. Er weiß, wo sein Platz ist und wo er bleiben will, denn schließlich, so sagt er, gehe es doch nur um den Menschen an sich und seinen Platz habe er bei Miriam und David gefunden, die ihn aufgezogen haben wie ihren leiblichen Sohn. Für ihn bleibt nur die Frage, wie seine biologischen Eltern ihn damals alleine zurück lassen konnten.

Said ist verzweifelt, er sieht in Chaldoun nicht mehr seinen Sohn, nicht mehr den, den Safiye trotz allen Veränderungen noch immer im jungen Soldaten Dov sieht. Nur sie weiß, dass er womöglich im Kampf auf Khaled, seinen leiblichen Bruder stoßen könnte, der im palästinensischen Widerstand gegen die israelische Armee, also auch Dov, kämpft.

Im sich hochschaukelnden Gespräch ob der junge Mann nun Chaldoun oder Dov ist und wer einen Anspruch auf ihn hat, beginnt Miriam wieder zu fantasieren: sie ist wieder in Auschwitz, genötigt von Nazi-Ärzten, die ihr das nahmen, was sie am meisten wollte: die Möglichkeit, Kinder zu gebären.

Fast eskaliert die Situation. Said und Safiye erkennen, dass sie zu spät gekommen sind, sie wollen das Haus verlassen. Da erscheint allen der tote David noch einmal und spricht folgende Schlussworte:

 

 

 

(zu Dov):Ja, ich bin dein Vater. Aber dieser da (zeigt auf Said) sollte eigentlich Dein Vater sein. Sie haben dich verloren. Aber sie leben. Und ich, der dich gewann – bin tot. Denn ich wurde überzeugt, nach all dem, was ich durchstand, nach all dem was die Nazis mir angetan haben, dass ich Waffen tragen sollte. Ich dachte nicht genügend darüber nach: ist die Waffe mein Instrument, oder bin ich zum Instrument derjenigen geworden, die mir diese Waffe gaben? Dov, kennst du die Interessen derjenigen, die dich schicken? – Said, Safiye, bei wem ist jetzt euer Sohn Khaled? (zum Publikum) Manchmal frag ich mich: wo ist Salomon der Weise? Und wenn das Kind schon zwanzig ist, warum wollen sie es immer noch zerschneiden? Der Weise kommt nicht vom Himmel runter. Er ist dort, spricht mit den Vögeln, hat es gemütlich. Ich hab diesen Luxus noch nicht. Ich bin immer noch mit diesen da verbunden. Mein Sohn, meine Frau, jetzt auch Said und Safiye und auch Khaled. Sie könnten sich noch treffen die beiden, Dov und Khaled. Was wird dann? Von oben – keine Antwort. Nur ihr könnt eine geben.

 

(siehe übrigens auch Julibericht: www.mideastweb.org/nemashim/juli-2007.htm )

 

 

Premiere. Alles wackelt. Ein Todesfall in unserem Kommunenumfeld ändert unsere angespannte aber konzentrierte Probenstimmung schlagartig. Beerdigungsdatum und Tag der Premiere fallen zusammen. Wir müssen umändern und improvisieren, vor allem aber trösten und Kraft spenden, proben, schminken, umbauen und beleuchten. Dass alles geklappt hat wissen wir erst, als wir zitternd zusammen hinter der Bühne stehen, im Al Midan Theater, dem arabischen Stadttheater Haifas. 120 Plätze sind fast gefüllt, es kann losgehen.

Es läuft, sehr gut sogar. Applaus. Keine rauschende Begeisterung, aber verhaltene, beeindruckte erste Eindrücke des Publikums. Der Schock sitzt tief, über diese sehr gnadenlose, pausenlose Achterbahnfahrt durch den Nahostkonflikt, ohne Tabus und Grenzziehungen. Wir sehen, dass wir gute Arbeit geleistet haben. Man sitzt noch zusammen, diskutiert und schweigt, streitet und einigt sich, das Stück hat etwas losgetreten. Dann ziehen wir los: arabische, jüdische und deutsche Jugendliche an einem riesigen Tisch im Restaurant. Unsere Freunde feiern alle mit, über Grenzen hinweg, mit viel Humor und Offenheit und auch der ein oder anderen Kritik zum Stück, der wir uns gerne stellen.

 

 

 

 

Am nächsten Tag: die Emotionen vom Vortag steigern sich, wir wissen: das letzte Mal gemeinsam auf und hinter der Bühne. Noch einmal durch das Stück, ohne Pausen, mit gnadenloser Energie und Überzeugung für die Sache. Dann ist es vorbei, es gibt Blumen für alle und die neue Kommune tritt neben uns auf die Bühne. Es wird also weitergehen, nicht mit uns, dafür aber mit neuen Menschen und neuer Begeisterung. Kein einfacher Moment für uns.

Dann: Menschen über Menschen auf unserem Balkon, wir singen auf Arabisch, Hebräisch. Französisch und Deutsch unsere Lieder, lachen, reden, trinken Arak und arabischen Kaffee bis die Sonne aufgeht und die Nachbarn zum guten Morgen auf ihrem Weg in den Tag grüßen.

 

 

Es bleiben uns noch drei Tage bis wir die Wohnung verlassen müssen. Viele Gespräche stehen an, Rückblicke, Auswertungen, Kritik und Anregungen werden ausgetauscht. Wir blicken, gemeinsam mit Uri und Shadi auf unsere Nachbarschaftsarbeit zurück, berichten über unsere Projekte, unsere Erfolge und Niederlagen, unsere Schwierigkeiten und auch unseren Lernprozess. Jede/r hat seine eigenen Erfahrungen gemacht in diesem Jahr, unterschiedliche Schwerpunkte selbst gesetzt und ganz persönliche Höhepunkte und Niederlagen erleben können. Wir sammeln Ideen und Anregungen für die neue Kommune und überlegen dabei auch, wie wir an der ein oder anderen Stelle hätten durchaus effektiver und produktiver arbeiten können. Auch schriftlich ausformuliert legen wir unseren Rückblick nochmals bei Uri und Shadi, aber auch den Leitern der NGO vor.

Auch unsere gemeinsame Theaterarbeit nehmen wir nochmals sehr genau unter die Lupe. Was haben wir gemacht, wie und was  hätten wir besser machen können? Wie war die Zusammenarbeit und inwiefern haben wir mit unserem Theater Menschen erreicht.

Schönster Rückblick auf unsere gemeinsame Zeit und auch die Theaterarbeit war aber für mich bei Khaled zuhause in Nazareth, als wir in tiefer Nacht mit seinem Vater, mit Ahmad und mit Daniel im wunderschönen Innenhof saßen und über unser Zusammenleben und unser Theaterleben sprachen. Es war die große Frage von Khaleds Vater Walid „what is the most important thing you learned this year?“ die eine große Diskussion auslöste. So saßen wir bei frischem Obst, arabischen Süßigkeiten und Arak da und durchschritten im Geiste noch mal den Horizont, der sich uns in diesem Jahr neu aufgetan hatte. Und wieder gelangten wir mit allen Aussagen und Fragen, denen wir uns stellten, zu der ganz klaren Erkenntnis, die wir auch im Frühjahr bereits schon einmal formuliert hatten: wir haben nicht die Welt, sondern nur uns selbst geändert und damit schon einen Teil Friedensarbeit geleistet. Khaled und ich erkennen auch im Rückblick mit welch anderen Erwartungen wir an die Theaterarbeit herangegangen sind, die ja immer untrennbar mit unserer aktuellen Situation im Zusammenleben verbunden war. Ahmad und er, sie wollten wie Profis an das Theater herangehen, alles ausschalten was wir an Konflikten und Ärger im Kommunenleben mitbrachten und es dem Theaterspiel überlassen, ob es die Probleme lösen konnte und wir vielleicht gelöster und geeinter zurück in den gemeinsamen Alltag gingen. Für viele von uns war es aber oft so, dass wir an die kommunikative Lösung von Problemen glaubten, Redebedarf anmeldeten, bevor in die Probe gingen. Wir wollten die Spannungen im Gespräch austragen, die Jungs sie mit ins gemeinsame Spiel nehmen und dort in gemeinsamer Aktion lösen. Diesem Konflikt mussten wir uns im Verlaufe des Jahres sehr oft stellen, und haben ihn deshalb auch immer wieder sehr unterschiedlich gelöst, immer natürlich sehr situationsabhängig und leider auch oft in keiner Weise richtig, da wir oft sehr unter Druck für eine gemeinsame Produktion standen. Dies war ein weiterer großer Konflikt und vor allem ein Problem, das ich in diesem Jahr sehe, die ständige Ausrichtung dieses Jahres auf ein Produkt, auf eine Konfrontation mit dem Zuschauer und auch dessen Belehrung, was ich zwar durchaus für richtig halte, manchmal in unserem gemeinsamen Prozess für hinderlich hielt, unterdrückten wir doch oft Spannungen innerhalb der Gruppe unserem Produkt zuliebe. Es fehlte mir das Theater für uns, jedem Einzelnen und unserer Gruppendynamik zu Gute, die Arbeit mit dem Körper, dem Aufbau  von innerer Spannung, von einem sicheren Rahmen, in dem wir uns hätten besserer und ruhigerer bewegen können, auch zu Aufführungen hin.

Im Rückblick auf unser Kommunenleben einen wir uns alle in der Erkenntnis, das wir uns in diesem Jahr eigentlich in nichts einig waren. Wir haben gestritten, diskutiert, uns einander angenähert, uns wieder zerworfen, nie sind wir aber wirklich zu einer Einigung in einer Sache gekommen. Und hierin erkennen wir auch, dass wir tatsächlich eine kulturell sehr gemischte Wohngemeinschaft waren. Weniger waren es die Dinge über die wir stritten, als tatsächlich die Art wie wir stritten und zu streiten gelernt hatten und gewohnt waren, denn gerade diese ist ja unglaublich von dem Ort geprägt, von dem wir kommen, der Kultur aus der wir kommen, hat diese uns doch von Anfang an vorgelebt, wie mit Konflikten und Spannungen umgegangen wird. So gab es solche, die Konflikte unterdrückten, diese gar manchmal verleugneten, solche die sprechen wollten und solche, die weinten, aufgeben wollten, solche die diskutieren wollten und solche, die einfach schwiegen und darauf warteten, dass sich alles von alleine lösen oder auflösen würde. Und so lernten wir, neben vielen anderen Dingen, in diesem Jahr vor allem eines: dass man lernen kann, miteinander überein zu stimmen, dass man die eigene Meinung nie aufgeben muss, sie dennoch aber einem Kompromiss annähern kann. Die für mich wichtigste Erkenntnis des Abends, aber auch eine durchaus wichtige für das ganze Jahr war aber die, dass es nie darum gehen darf und kann, immer alles ändern zu wollen und auch, dass man nicht alles was andere tun oder nicht tun akzeptieren muss. Es geht schlicht und einfach darum zu wissen, dass andere Menschen, andere Meinungen und Lebensformen, ja ein Pluralismus an Weltanschauungen und Lebenswelten besteht, dass andere Ideen, ja einfach andere Menschen existieren (dürfen) und daas man im Ändern der Welt immer am besten bei sich selbst anfängt, denn erst wenn man einige Dinge für sich gelernt und verinnerlicht hat, gelingt einem der etwas andere Blick auf die Welt und ihre Menschen. Ein altes indianisches Sprichwort spricht mir bei dieser, unserer gemeinsamen Aussage sehr aus der Seele:

 

Der erste Frieden                                           

Der erste Frieden, der wichtigste, ist der, welcher in der Seele des Menschen einzieht; wenn die Menschen ihre Verwandtschaft, ihre Harmonie mit dem Universum einsehen und wissen, dass im Mittelpunkt der Welt das große Geheimnis wohnt, und dass diese Mitte tatsächlich überall ist; sie ist in jedem von uns.

 

Das ist der wirkliche Frieden. Alles anderen sind lediglich Spiegelungen davon.

 

Der zweite Frieden ist der, welcher zwischen Einzelnen geschlossen wird. Und der dritte Frieden ist der zwischen Völkern.

 

Doch vor allem sollt ihr sehen, das es nie Frieden zwischen den Völkern geben kann, wenn nicht der erste Frieden vorhanden ist, welcher innerhalb der Seele wohnt.

 

Wir haben in diesem Jahr gelernt, an uns selbst zu arbeiten, zu akzeptieren und zu erkennen wer wir sind, was wir mögen und was wir nicht mögen, was wir ändern wollen und auch, was wir können. Und dies machte uns die oben genannte Erkenntnis leichter, dass es nicht darum geht, übereinzustimmen oder andere Meinungen zu übernehmen, nur zu wissen, dass es sie gibt. Und diese Erkenntnis kann inneren Frieden geben, der ja der erste Schritt zu einem wahrhaften Frieden ist, bzw. in unserem Sinne zu wahrhafter Friedensarbeit.

 

Dies sind, denke ich, die richtigen Worte um zu enden, mit meinem letzten Bericht nach einem Jahr in Israel und Palästina. Es gäbe noch soviel mehr zu schreiben und zu berichten, so viele Details und Bilder haben sich in meinen Kopf eingebrannt und so viele Beobachtungen würde ich Euch gerne noch schildern. Gerne aber möchte ich Euch noch einen Brief von Sophia mit anfügen, meiner Freundin, die mich in meinem letzten Monat in Israel besuchte und vieles mit mir teilen konnte. Ihr klarer und genauer Blick auf die Dinge spiegelt noch einmal vieles von dem wieder, was auch ich in den letzten Wochen in diesem wunderschönen Land sehen und erfahren durfte, in denen wir noch mal kreuz- und quer durch Israel gereist sind, mit Grenzwanderungen und -überschreitungen, die uns noch mal viel beigebracht, aber auch viel Kraft abverlangt haben. Sophia spricht mir mit ihren Worten aus der Seele, deswegen ihre Worte als Schlussworte:

„Viele Bilder über dieses atemberaubende, atemraubende Land schwirren mir im Kopf herum.

Tage an denen ich gereist bin habe ich hinter mir, Tage an denen ich noch reisen werde habe ich noch vor mir.

Normalität des Alltags erlebe ich genauso wie Reisen in eine mir bisher unbekannte Welt, ja Zeitreisen, wie in einem Film.

ich erlebe das Theater, das Kommunenleben, das Meer, die Kulturen, die Sprachen, die Spannungen, die Unterschiede und die Gemeinsamkeiten.“

 

"Jerusalem, war demnach mein erster wirklicher Eindruck von Israel. Schrill, mediterran, Gewühle, Stimmenwirrwarr, Kulturenmix.

übernachtet haben wir bei einem Freund von Amina.)

Den Sonntag über haben wir uns in das Getümmel Jerusalems gestürzt.

Eindrücke waren: wunderschön, begrünte Parkanlagen, ein niedliches Künstlerviertel, großartige Gebäude und die überwiegende Farbe ocker-beige.

Dann durch das Damaskustor in die Jerusalemer Altstadt, in den arabischen Teil der Heiligen Stadt, in das Getümmel des Shouks. Bunte Tücher, Schmuck in aller Form, Perlen, Gewürze, Köstlichkeiten. Schrille und laute Atmosphäre.

Kurzer Zwischenstop im Österreichischem Hospitz, viele Deutsche, Filterkaffee, Ruhe, hohe räume, Idylle.

wieder raus auf die Strasse Gemüse kaufen, unheimlich viel für unheimlich wenig Geld.

abends kochen und den Abend mit deutschen Freunden verbringen, Renana kennenlernen, die liebste Freundin Aminas hier in Israel, mit der sie seit einem Jahr hier in der Kommuna zusammenlebt.

 

Am nächsten Tag ging  es mit dem überfüllten arabischen Bus in die Westbank nach el Azariah, einem Beduinendorf, das von einer jüdischen Siedlung in der Westbank gezwungen wurde an diesem Platz zu siedeln. Container wurden zur Verfügung gestellt und das ursprüngliche Nomadenvolk musste sehen wie es sich soziale Strukturen schafft  um in solch einem Rahmen leben zu können. Mit vielen wunderschönen, frechen arabischen Mädchen und deren nicht minder schönen, verhüllten Müttern verbrachten wir den Tag im "Sommercamp". Wir bemalten Gipsmasken, die Amina und Renana die vorherigen Tage mit den kids gemeinsam gemacht hatten.

Eine völlig andere Welt, eine Zeitreise, ein Film. Leben in Unterdrückung und trotzdem so frei, fröhlich und frech.

Ein paar Tage zuvor war ein vierzehnjähriger Junge aus dem camp von einem Laster überfahren worden, es wurde getrauert, doch das Fest nahm seinen Lauf. Kinder aus Bethlehem kamen angereist, um den Tag gemeinsam mit den Kindern aus el Azariah zu erleben. Kinder die sich in einer Formation zusammenstellten und schrien: es lebe Palästina oder so ähnlich.

Frauen, die für alle kochten, die es schafften das Getümmel im Zaum zu halten, die gemeinsam am Tisch Gurken und Tomaten in winzige Stücke schnippelten, Essen und Getränke an die nahezu 200 ausgehungerten Kinder verteilten. Emanzipierte, glückliche Frauen auf ihrem Gebiet.

Nachmittags ging es kurz nach Haifa in die Kommuna, Sachen ablegen und packen für die nächsten zwei Tage, die wir in der Nähe von Tivon in Kfar Tikva verbringen sollten, der Behinderteneinrichtung in der Amina zweimal die Woche gearbeitet hat.

Abends, Ankunft in kfar tikva. Idylle, alles grün, viele Blumen, nette, deutsche Volontäre..

Zwei Tage Kfar, abends am Karavan sitzen, Bier trinken, entspannen, Gitarre spielen. Gemeinsam schwimmen mit den Behinderten und Fußball spielen. Switch: wieder ein völlig anderer Film. Was ist das also für ein Land, farbenreich, zwiegespalten....es nimmt dich mit auf eine Reise, es stellt Aufgaben an dich, an dein Denken, es reißt dich mit sich und lässt dich nicht los und du musst aufpassen, dass der Strudel dich nicht hinunterzieht.

 

Die Kommuna habe ich mittlerweile auch kennen gelernt, wir waren zum Schabbat essen bei Or, dem Israeli in Aminas Kommuna, waren mit ihm in einem Pub, voll mit jungen Israelis, es wurde gegrölt, geklatscht, gelacht und gesungen. Es ist klein und eng hier in der Kommuna, sehr chaotisch und dennoch ein Zuhause. Gemütlich und warm. Ein Ort an den man gerne zurückkommt.

Die Kommuna ist sehr toll zu mir, nimmt mich auf und lässt mich teilhaben. Sie spielen "die Rückkehr nach Haifa", am Freitag ist die Premiere und wir sind alle sehr angespannt und gespannt, welche Reaktionen ein solch hochpolitisches, kritisches Stück auslösen mag. Ich bin so dankbar dafür, dass ich zusätzlich noch Einblicke in das Theaterleben mit erfahren darf, meine Aufgabe wird vermutlich jetzt auch die Beleuchtung sein......fantastische Arbeit. Sie spielen wie kleine Götter sag ich dir.

 

Mit Amina bin ich in den Norden gereist, wir waren in einem Drusendorf, Dalyat al Karmel und durften dort in einem Restaurant von dem Besitzer Einblicke in das Leben der Drusen erfahren, sehr intim, klein und sehr schön.

Wir sind im Jordan und im Kinnärät geschwommen, den Golan hochgetrampt und durch ein Tal, das Wadi Yehudiua, gewandert, durch welches sich unzählige Pools schlängeln, die man durchqueren kann.

  Auch waren wir in Zfat, die Stadt, hoch auf einem Berg gelegen ist die viertheiligste Stadt der Israelis. Zfat war vor der jüdischen Eroberung 1948 ein rein arabisch besiedeltes Dorf gewesen. Nach den von Israelis verübten Anschlägen sind fast alle Araber gefluchtet und Zfat ist heute eine der orthodoxesten Städte Israels. Abends sollte dort ein großes Klezmerfestival stattfinden. Von überall aus der ganzen Welt kamen jüdische Orthodoxe und Touristen angereist.

Du gehst durch einen wunderschönen Ort, über helles Kopfsteinpflaster, vorbei an wunderschönen mediterranen Häusern, die Farben der Bilder dich ich mir eingeprägt habe sind blau, Türkies, rotbraun und natürlich ocker-beige. Du schaust zu deiner rechten und siehst eine jüdische Mütter mit ihren unzähligen Kindern auf einer Treppenstufe sitzen, sie sind alle angemessen orthodox gekleidet, sittsam, brav sitzen sie beisammen und die Mutter scheint ihnen etwas vorzulesen. Zu deiner Linken läuft ein orthodoxer Jude über den Weg, an der Hand seine Söhne, welche ihm folgen. Von oben nähert sich dir die Jugend, vier bis fünf Burschen mit gelocktem haar, Gebetskäppchen auf dem Kopf, Schläfenlocken, der ein oder andere trägt dazu Zahnspange oder raucht lässig seine Zigarette, meistens tragen sie auch eine Gitarre über der Schulter. Im Geschäft oben an der Ecke gibt wallende, lange Röcke, weite Blusen und Tunikas, bunte Tücher, Kopfbedeckungen und jüdische Kerzenhalter zu kaufen. Schräg vorne links siehst du einen Vater mit seinem Sohn ins Gebet vertieft. Sie wippen nach vorne und nach hinten und lassen sich nicht aus der Ruhe bringen. Ein paar Strassen weiter tanzen israelische Soldaten auf der Strasse bewegen sich zu der wunderschönen Klezmermusik, sie feiern und tanzen, das Gewehr haben sie geschultert. Paradoxe Welt. Switch: eine weitere Sequenz in meinem Film, meiner Zeitreise. Erez Israel, das heilige Land, wird gepriesen und gefeiert. sie feiern mit sich, für sich unter sich.

Ein Familienvater mischt sich unter die tanzenden Jugendlichen, tanzt wild, bewegt sich, hüpft und dreht sich auf dem Boden, in der Luft. Seine Frau steht bepackt mit Kindern und Kinderwagen in der Menge, die sich um die Tänzer gebildet hat und filmt. Die Lebensfreude der Gläubigen, jeder Schritt wird aufgenommen und gezeigt. Im Dunkeln hebt sich im Abendlicht ein Stück weiter unten die Umrisse der ehemaligen Moschee hervor, der sichelförmige Mond und die dunklen Bäume um sie herum, erstellen ein fast romantisches Bild. Nur ist es keine Moschee mehr, der Muezzin ruft dort nicht mehr zum Gebet. Dort befindet sich jetzt ein Cafe, ein Aufenthaltsort, für die Gemeinschaft der Orthodoxen und ihre vielen Kinder. Die wunderschöne Musik, die ich so liebe, ist so eng verbunden mit diesem starken Glauben untermalt das ganze Geschehen und ich kann mich aber nur noch fragen, wie könnt ihr so fest glauben???

 

Es ist eine Reise, ein emotionales Erlebnis, jeden Tag. Ich lasse mich mitziehen und genieße, erfahre, versuche zu verstehen, wahrzunehmen und vor allem zu erleben.

 

Wie auch jetzt für mich nach diesem Jahr, ist es irgendwann einmal Zeit für einen Abschied, ein ganz klares Ende. Ich freue mich auf ein Wiedersehen mit vielen von Euch, auf Berichte und Erzählungen bei arabischem Kaffee und leckeren Süßigkeiten.  Dieses Jahr war eine großartige Erfahrung für mich, so, dass ich wahrscheinlich jetzt erst einen Bruchteil dessen sehe, was es mir beigebracht hat. Seid herzlichst bedankt, für all Eure Unterstützung, Eure Worte und Eure Hilfe, Eure Gedanken und Reaktionen!

Bis bald in Deutschland,

Eure Amina

 

Inzwischen ist die neue Kommune eingezogen, beginnt auch bald schon mit der Gemeindearbeit, in drei Wochen schon erste Feuerprobe im Straßentheater in Akko. Und wir suchen ganz fleißig neue Kandidaten für den neuen Workshop. Am dringendsten aber suchen wir Geld, denn wenn wir nicht bald Geld finden, werden wir das Projekt leider schließen müssen.

Allen Juden wünschen wir SHANA TOVA und allen Muslim RAMADAN KARIM  !!!

 

Uri

 

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